Niemand wird bestreiten, dass Mülhausen im Elsass liegt und dessen zweitgrößte Stadt ist. Doch mich beschleicht immer wieder das Gefühl, dass es eine Stadt ist, die bewusst nicht so recht in das gängige Elsass-Klischee passen will. Dafür steht bereits Colmar, wo Störche ununterbrochen über Fachwerkhäuser hinwegfliegen und der man in herzlicher Konkurrenz verbunden ist.
Mülhausen liegt auf dem Marktplatz!
Mein frühmorgendlicher Gang führt nicht in die Innenstadt sondern an Markttagen zum “marché du canal couvert“. Idealerweise kann man dort eine Stunde kostenlos parken. Arabische, französische und elsässische Sprachfetzen schwirren beim café / croissant an der Bar des Green Eben durch die Luft – mit dem immer gut gelaunten Chef wird auf Französisch, Deutsch oder Elsässisch parliert. Alle Genüsse dieser Welt und heimische Erzeugnisse werden in der Markthalle und davor zu günstigen Preisen angeboten. Der Einkauf wird beschlossen im Marktrestaurant «Aux Halles du Marché », wo man durch gute Beziehungen zur Bedienung auch einen Tisch auf dem “Balkon” reservieren kann und an bestimmten Tagen “Munischella“ angeboten werden. Die große Anzahl der Zuwanderer in Mulhouse bringt aber nicht nur friedliche und positive Farbtupfer, wie man weiß.
Mülhausen liegt in England!
Mülhausen wurde schon früh als das ‚Manchester Frankreichs‘ bezeichnet, das spüre und sehe ich auf Schritt und Tritt, gerade auch bei den riesigen PSA Peugeot- Citroën-Fabrikanlagen. Einen Kontrast offenbaren die Arbeitersiedlungen und die Villen der Industriellen. In der “Cité ouvriére“, nicht weit vom Markt, erbaute man ab 1854 vorbildlich Arbeiterhäuser, während sich die Industriellen gleichzeitig in großzügig ausgestatteten Villenvierteln im “Nouveau Quartier“ oder am Rebberg mit so idyllischen Straßennamen wie “Sentier de Colibri“ niederließen. Beide lohnen einen Spaziergang, den man in die Ghetto-Viertel mit ihren lieblosen Nachkriegsbauten, den betonierten Zeugnissen einer verfehlten Stadtpolitik, aus vielerlei Gründen besser unterlässt. Das reiche industrielle Erbe kann man in den unterschiedlichen Museen bestaunen, alleine zwölf gibt’s davon, immer wieder interessant finde ich das Stoffdruckmuseum / Musée de l’impression sur étoffes oder das Automobilmuseum/ Cité de l’automobile… und nicht zu vergessen, den Zoologischen und Botanischen Garten, der leider viel zu wenig bekannt ist.
Mülhausen liegt in der Schweiz!
Mülhausen hat sich recht früh schon den Schweizer Kantonen angeschlossen und konnte sich auf diesem Wege 1648 der Einverleibung durch Frankreich entziehen, was in Verbindung mit dem calvinistischen Glauben Mulhouse zum Industriestandort werden ließ. Erst 1798 kam die ‚Vereinigung‘ mit Frankreich und der “Place Réunion“ zu seinem Namen. Dort und in der Nähe stehen das historische Rathaus im Renaissancestil, die Johanniskapelle aus dem 13. Jahrhundert, das Haus Mieg mit seinem Turm und die Stephanskirche aus dem 14. Jahrhundert. Die Apotheke “Au Lys“ stammt aus dem Jahre 1646, das Haus “Loewenfeld“ gilt als das schönste Haus des 18. Jahrhunderts, das in der Stadt zu finden ist.
Mülhausen liegt auf dem 47. Breitengrad und doch im Elsass!
Der kulturell reichste Ort ist für mich die versteckt liegende „Librairie 47° Nord“. Sie führt mit ihrer unglaublichen Büchervielfalt hinaus in unentdeckte (literarische) Gefilde des Elsass und der Frankophonie. Keine Sorge: Mülhausen liegt im Elsass und ich bin schon über den ausgeschilderten Radweg, der am Wiehre- Bahnhof in Freiburg beginnt, in nur 65 Kilometern dorthin oder am Rhein und zuletzt entlang des Rhein-Rhône-Kanals bis zum Innenstadt-Hafen / “Port de Plaisance“ geradelt, der direkt am Bahnhof liegt. Zum “gare centrale“ fahren täglich mehrere Züge von badischer Seite, die aber leider zu selten genutzt werden!
Hubert Matt -Willm att